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Montag, 15. April 2013

Soma - 3331Km - Aufgeben...

März, April 2013
Soma - 3331Km

Ich weiß nicht wo in anfangen soll. Es ist viel geschehen in den letzten Wochen. Sowohl in der realen, als auch in der virtuellen Welt.
Beginnen möchte ich mit der virtuellen Welt.

Auf Facebook sind einige Kommentare aufgetaucht welche mich persönlich sehr verletzt haben. Lange Zeit wusste ich nicht damit umzugehen. Ich war sowas von sauer und tief verletzt.
Zuerst war ich versucht sofort einen bösen Kommentar zurück zu schreiben. Doch dies hätte die "Probleme" keinesfalls gelöst, allenfalls verschlimmert. Auf einen bösen Kommentar folgt der nächste, die Situation schaukelt sich hoch.
Also schrieb ich keine Antwort und dachte einige Zeit über die Situation nach.

Und mir wurde etwas klar.
Ich habe versucht es allen recht zu machen. Jedoch habe ich bald bemerkt dass dies nicht geht.
Es wird immer Menschen geben die mich kritisieren.
Und daran ist nichts schlechtes.
Wir brauchen diese Menschen um zu wachsen. Dazu sind sie da. Sie müssen kritisieren.
Als die ersten negativen Kommentare auftauchten habe ich mich sehr darüber aufgeregt.

Es war für mich so als wenn man sich Gäste einläd, und sich die größte Mühe gibst. Man richtet alles schön her und kocht das beste Essen das man je zustande gebracht hat. Und einer der Gäste sagt "Das schmeckt fürchterlich."
Sowas tut weh.

Jetzt weiß ich dass diese Menschen kritisieren müssen, es ist quasi ihr Job.
Je erfolgreicher man wird, desto mehr Kritiker hat man. Jedes erfolgreiche Unternehmen weiß das.
Ich lebe wesentlich besser wenn ich mich damit abfinde als wenn ich versuche die Kritiker zu bekehren.

Ich habe für mich entschieden nicht mehr auf diese Menschen zu hören und mich nur noch auf die Menschen zu konzentrieren die aufrichtiges Interesse an meiner Reise haben und die Botschaft positiv aufnehmen.

Ich glaube an das gute in jedem Menschen und sage mir: "Wenn jemand gerade nicht seine gute Seite zeigt, so braucht dieser Mensch einfach nur etwas mehr Zeit. Vielleicht ist er selber gerade verletzt worden oder hatte gerade eine negative Situation erlebt und gibt seinen Frust einfach nur weiter. Ich kenne die Geschichte des Menschen nicht warum er in diesem Moment so reagiert hat.
Wenn man ihnen etwas mehr Zeit gibt und lange genug wartet, werden einen die Menschen fast immer positiv überraschen und beeindrucken. Wenn dich jemand verletzt hat und du auf ihn sauer bist, dann hast du ihm einfach nicht genügend Zeit gegeben. Warte noch etwas länger."

Wenn man sich in der Öffentlichkeit äußert, wird man immer Menschen antreffen die einem zustimmen, und es wird Menschen geben die dagegen sind.
Nie wird es einem gelingen alle positiv zu stimmen. Daher versuche ich es erst garnicht.
Wenn ich schon vor der Reise nur auf diejenigen gehört hätte die gesagt haben "Das geht nicht...", dann hätte ich diese Reise nie angetreten.
Der erste Schritt war der schwerste. Danach lief alles wie von selbst...

Wenn Du nur noch wenige Tage oder Wochen zu leben hättest...
Würdest Du eine Reise so genießen wie Du es wolltest, oder würdest Du das tun was andere Menschen meinen das richtig oder besser wäre?

Ich bin auf dem Weg nach Tibet. Zu Fuß.
Und ich weiß dass ich eines Tages auch dort ankommen werde.
Wann, das weiß ich nicht. Vielleicht in 3,4 oder 5 Jahren.
Es ist nicht mein Ziel so schnell wie möglich in Tibet anzukommen. Wenn dem so wäre, hätte ich das Flugzeug, den Zug oder das Auto als Fortbewegungsmittel gewählt.

Am Anfang der Reise ging ich davon aus in ca. 2 Jahren in Tibet anzukommen.
Schließlich müsste ich ja anschließend wieder zurück nach Deutschland um wieder zu arbeiten, Geld zu verdienen und ein "normales" Leben zu führen.
So meine Gedanken vor der Reise.

Doch es ist genau das ist was ich im Moment tue, ICH LEBE!
Jetzt!
Ich will die Reise nicht so schnell wie möglich hinter mich bringen.
Diese Reise ist mein Leben. Und es ist daher völlig nebensächlich wie lange sie dauert.

Hierzu die kurze Geschichte von Heinrich Böll aus dem Jahre 1963:

http://www.lichtkreis.at/html/Gedankenwelten/Weise_Geschichten/der_zufriedene_fischer.pdf

Ich lebe jeden Tag als wäre es mein letzter. Die Zeit mit den Menschen um mich herum verbringe ich so, als wenn ich sie für eine lange Zeit nicht wiedersehen würde.

Das Leben findet immer nur im jetzigen Moment statt. Es ist nicht notwendig zum nächsten Moment zu hasten, in der Hoffnung das der nächste Moment in irgendeiner Weise besser ist als der derzeitige.

Einige glauben dass ich der Zufriedenheit erlegen bin und die Reise aus Angst vor dem was kommt abbrechen werde. Warum?
Diese Reise ist wie ein spannendes Buch für mich. Ich habe bereits so viele schöne Dinge gesehen und erlebt. Und immer wurde die Geschichte noch besser und interessanter für mich. Es kommt bald wieder das Meer, Fethiye, Antalya, Konya, Kappadokien...
Und ich freu mich jetzt schon wie Schnitzel auf den Iran und Indien...
Ich werde diese Reise nun nicht in der Mitte abbrechen. Ich werde weiter lesen und will wissen wie die Geschichte ausgeht.
Ich habe im letzten Jahr so viel erlebt, und mir ist klar das sich nun im 2ten Jahr mindestens genau so viel ereignen kann.

Ich glaube das Menschen immer exakt zu der Zeit an dem Ort ankommen an dem sie erwartet werden.
Warum nicht die Freuden die uns das Leben schenkt voll auskosten?
Es ist nichts Böses glücklich zu sein.

Jim Croce muss das gewusst haben als er den Song "Time in a bottle" schrieb. Er verstarb im Alter von 30 Jahren bei einem Flugzeugabsturz.
...but there never seems to be enough time to do the things you want to do once you find them... (Jim Croce - Time In A Bottle)

Unsere Zeit hier auf der Erde ist begrenzt. Jeder wird früher oder später sterben. Wann? Das weiß niemand.
Ich möchte die Zeit zwischen Geburt und Tod genießen. Und ich glaube daran dass wir das Glück nur im jetzigen Augenblick finden. Nicht in irgendeinem Moment in der Zukunft.


Ich war nun 5 Wochen in Soma und unterrichtete an einem privaten College Deutsch, English und Sport.
Und das obwohl ich nie eine Ausbildung in dieser Richtung abgeschlossen habe.
Ich habe eine Arbeit gefunden bei der ich Spaß habe und dabei noch Geld verdiene. Ich wollte die Gelegenheit nutzen und Erfahrungen sammeln und sie nicht sofort wieder hinschmeißen und weiterziehen. Ich mache das jetzt weil es mir Freude macht und weil ich das tun möchte.
Wenn mir vor 5 oder 10 Jahren jemand gesagt hätte dass ich mal als Lehrer arbeiten werde hätte ich ihn wahrscheinlich für verrückt erklärt.
Irgendwie verschaffen uns unsere Fähig- und Fertigkeiten immer einen Platz in dieser Welt.
Das ist das faszinierende an der Reise: Du weißt nie was hinter der nächsten Ecke auf Dich wartet. Und daher wird es auch nicht langweilig.

Ich genieße die Zeit hier sehr. Viele junge Menschen um mich herum, junge Ideen.
Viele Fragen. Kinder stellen die besten Fragen. Sie haben es noch nicht verlernt zu fragen.
Je älter man wird, desto leichter denkt man auf alles bereits eine Antwort zu haben: "Ist halt so, das war schon immer so."
Doch Kinder fragen: Warum gibts Krieg, wieso rotten wir alle Tierarten aus, woher kommt das Geld und wie lebst du ohne Geld. Eine großartige Gelegenheit um die "selbstverständlichen Dinge" in frage zu stellen und darüber nachzudenken.

Hier im College kommt mir die Reise sehr zu gute.
Ich weiß mittlerweile sehr wohl wie schwer es ist eine neue Sprache zu lernen. Immer wenn ich in ein neues Land komme geht es von vorn los.
Die Schüler hier können allesamt sehr gut englisch und deutsch schreiben. Das ist es was sie jeden Tag lernen: Grammatik. Und Grammatik ist wichtig um die schriftlichen Tests zu bestehen.
Aber wenn man sie fragt ob sie englisch oder deutsch sprechen bewegen sich die Köpfe von links nach rechts und umgekehrt.
Wenn wir geboren werden und aufwachsen lernen wir das sprechen von unseren Eltern und von anderen Kindern.
Die Münder bewegen sich, wir verstehen zunächst nix, bis wir irgendwann anfangen die Laute die wir hören nachzusprechen.
Mit 6 Jahren können Kinder schon perfekt sprechen.
Erst dann lernen sie in der Schule lesen und schreiben.
Die 12 Klässler lernen ebenfalls seit 6 Jahren englisch. Können aber nicht sprechen. Warum?

Es ist das verhalten der Schüler gegenüber anderen Schülern.
Als ich am Anfang vor 5 Wochen in die Klassen kam und mit einigen Schülern englisch sprechen wollte, lachten die anderen Schüler über diejenigen welche versuchten mit mir englisch zu sprechen. Sicher war die Aussprache nicht korrekt und es hat lange gedauert bis der erste Satz herauskam. Doch genau das ist der Grund warum die Schüler so schüchtern sind. Sie haben Angst "Fehler" zu machen, und davor von anderen ausgelacht zu werden.

Das gleiche setzte sich in anderen Klassen fort. Die Schüler lachten immer über die anderen welche versuchten English zu sprechen, wozu ich sie ja aufforderte.
Indirekt lachten sie also mich aus. Ich sage sprecht English, und sie lachen diejenigen aus die es tun.
Das wollte ich nicht akzeptieren.
Ich wollte sie nicht gegen mich sondern für mich gewinnen.
"Hört auf, andere auszulachen die Fehler machen.
Das ist der Grund warum sich keiner traut englisch zu sprechen. Weil sie denken dass sie dann von den anderen ausgelacht werden.
Wir können Spaß haben, eine ganze Menge sogar. Aber nicht auf kosten anderer.", sagte ich freundlich aber bestimmt.
Anschließend ging's voran. Die Arme gingen hoch und die Fragen kamen. Vereinzelt und immer noch zögerlich. Doch der Anfang ist gemacht.
Wie bringen wir nun Spass in die ganze Sache?

Das schöne wenn man eine Sprache lernt: Man braucht keine komplizierten Formeln. Man muss sich einfach nur unterhalten. Ganz egal worüber. Über das letzte Wochenende, den kommenden Sommer, den lieblings Kinofilm etc.
Manche Schüler spielen Instrumente und bringen diese mit.
Sie erklären den anderen Schülern wie das Instrument gespielt wird.
Wir spielen Jenga und Monopoly. Und immer sprechen wir nebenbei englisch. Wenn jemand ein Wort nicht weiß helfen die anderen Schüler weiter.
Lernen muss Spaß machen. Dann lernen wir am schnellsten. Wenn die Schüler etwas gerne tun, reden sie auch gerne darüber. Und alle anderen hören zu.
Das meiste was die Schüler, denke ich brauchen, ist jemand der ihnen zeigt wozu sie fähig sind.

Vielleicht ist das der Schlüssel um die Schüler zum sprechen zu animieren.
Wenn keiner mehr über sie lacht wenn sie Fehler machen dann haben sie vielleicht den Mut neue Dinge auszuprobieren, zu sprechen etc.
Fehler sind gut. Nur aus Fehlern lernen wir.
Wer seine Angst vor Fehlern oder einer Blamage verliert, wächst.
Und die Schule ist der perfekte Ort um so viele Fehler wie möglich zu machen.
Wer keine Fehler mehr macht hört auf zu wachsen.

Auch ich mache Fehler. Viele Fehler. Fehler gehören zum Leben dazu. Deswegen werden wir nicht zu schlechteren Menschen. Nicht wenn wir nicht gram sind und uns selber verzeihen können.
All die Dummheiten welche wir in unserem Leben getan haben. Dann sind wir frei von Ballast. Und offen für neue Dinge, und neue Fehler...
Wir sind Menschen, keine Maschinen. Ich mache Fehler. Fehler sind gut.

So lehre ich die Sprache. Durch sprechen. Schüler lernen sehr schnell - durch nachahmen und imitieren. Genau wie ich wenn ich ein neues Land betrete, genau so wie Babies wenn sie auf die Welt kommen.
Es macht mir großen Spass mit den Kindern und den Studenten zusammen zu arbeiten und ihre Fortschritte zu sehen, ähm - zu hören.
Auf der anderen Seite: Wenn sie die Sprache gut sprechen können, werden nebenbei auch die schriftlichen Noten besser. Ich will ihnen nur das sprechen beibringen. Doch natürlich lernen sie nebenbei die Sprache und somit auch die Grammatik etc.

Nie zuvor war ich so lange an ein und dem selben Ort, umgeben mit den selben Menschen.
Mir gelang es in den letzten 5 Wochen von vielen das Vertrauen zu gewinnen und so auch teilweise sehr tiefe einblicke in ihr Leben und ihre Kultur zu gewinnen.

Viele Nächte haben wir zusammen gesessen und uns unterhalten.
Da gibt es zum Beispiel den Jungen aus dem Osten der Türkei dessen Familie dicht an der Grenze zu Syrien lebt.
Er war schon länger nicht mehr zu Hause, weil es zu gefährlich ist.
Oder der Austauschschüler aus Somalia. Seit 2 Jahren lebt er nun in der Türkei. 1 mal hat er zwischendurch seine Familien in Afrika besuchen können. 1ne Woche lang. Sein vertrautes Umfeld fehlt ihm sehr.
Seine Familie ist froh und stolz auf ihren Sohn dass er ein College besuchen kann.
Und so gut es ihm hier auch geht, alles was er im Moment möchte, ist bald wieder nach Hause zurück zu kehren, zurück zu seiner Familien und seinen Freunden.

Ich habe die Freiheit nach Deutschland zurück zu kehren wann immer ich will. Die Möglichkeit dass mir dort eine Bombe auf den Kopf fällt ist relativ gering.
Nicht alle Menschen haben diese Freiheit.

Und nebenbei ist ein College ein wunderbarer Ort um neue Dinge zu lernen. Das schöne daran wenn man anderen etwas lehrt: Man lernt selber am meisten.
So habe ich unter anderem auch mein türkisch weiter verbessert. Nach Ungarisch, Rumänisch, Bulgarisch, nun die 5. Sprache...

Wenn ich mir die Karte anschaue habe ich mich in den letzten 5 Wochen kaum von der Stelle bewegt.
Jedoch habe ich in den letzten Wochen mehr gelernt als in dem gesamten 1sten Jahr.

Die Reise geht morgen weiter. Ich nutzte lediglich die derzeitige Gelegenheit um etwas zu arbeiten, Geld zu verdienen und neue Erfahrungen zu sammeln.

Es wird schwer für mich sein dies hier wieder aufzugeben, mich von so vielen neuen Freunden wieder zu verabschieden und weiter zu ziehen. Doch ich tue es gern.
Was wäre die Alternative?